Opium Unsinn

by Dr. Stack van Hay | 13. November 2013 12:52

[latexpage]Laut Spiegel Online steht im 2012 Opium-Bericht der Vereinten Nationen: „Afghanistan produziert so viel Opium wie nie”. Der behauptet sowas aber nicht. Ich verstehe den Grund nicht! Lügen für Quote? Mangelhafte Kenntnis der eigenen Muttersprache? Oder so ausgeprägte Technikleghastenie, dass schon ein Vergleich von Mengen zu völliger Überforderung führt? Ich habe eine These dazu und Fakten!

Eigentlich wollte ich über meine Bemühungen zur Extraktion von Capsaicin berichten, aber der Spiegel-Online Artikel hat es mir dermaßen besorgt, dass der jetzt erstmal dran ist.

Afghanistan: Ein Thema für Gesetzlose

Aus irgendeinem Grund scheint es einen Konsens zu geben, dass man beim Thema Afghanistan keinerlei Sachkunde benötigt um mitzureden und, dass jeder Schwachsinn ungefiltert und unwidersprochen artikuliert werden darf, solange nur alles schlimm ist.

Da wird im deutschen Talkshowwesen munter kolportiert, die Säuglingssterblichkeit in Afghanistan sei noch nie so hoch gewesen wie heute (Unsinn) oder die Taliban seien so stark wie nie zuvor (natürlich Unsinn, denk mal daran: Die Taliban haben durch eine Militäroperation Kabul von den Sowjet-Streikräften erobert!)

Drogen sind wohl ein besonders kniffliges Thema

weil zu Ideologie und Bra Bra auch noch wissenschaftliche Fakten kommen. Das führt dann wohl schnell zu Überforderung. Die Welt der Opiumökonomie ist ein allerdings ein bisschen zu groß für einen Blogbeitrag. Ich nehme einfach die unsinnigen Behauptungen aus dem Spiegel-Artikel und schreibe dazu was.

Uno-Bericht: Afghanistan produziert so viel Opium wie nie

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Spiegel Online, 13.11.2013

Jedes Jahr bringen die Vereinten Nationen das so genannte „Opium-Survey” heraus, in dem sie sich anschauen, wie sich die Opiumproduktion in Afghanistan entwickelt hat. Tatsächlich ist dieser Bericht die beste verfügbare Quelle für Opium-Daten aus Afghanistan, weil ein sehr hoher operativer und wissenschaftlicher Aufwand betrieben wird.

Aber gut, jenseits von Politik und Ideologie: Die Menge Rohopium für 2012 beträgt laut Spiegel-Online 5500 t. Die im 2012er Bericht nach unten korrigierte Menge für 2007 laut „Opium Survey” beträgt 7700 t.

So viel zum Thema „wie nie”.

Natürlich ist Opium ein politisches Thema, aber auch da vielleicht auf einer etwas anderen Skala. Jeder Opiumkonsument ist ein Mahnmal für imperialistischen Größenwahn, schließlich wurde die weltweite Drogenökonomie durch Großbritannien und die East India Company im 19. Jahrhundert überhaupt erst installiert. Gemessen an den damals bewegten Tonnagen (je nach Literaturstelle 20 000 bis 50 000 Tonnen pro Jahr) sind die heutigen Mengen relativ bescheiden, wohlgemerkt kam das Opium aus indischer Produktion, wir reden ja jetzt über Afghanistan.

Und keine andere Pflanze bringt so viel Geld ein.

Steht auch im Spiegel und irgendwie kann man dem Redakteur keinen Vorwurf machen, denn diese Auffassung ist unausrottbar und weit verbreitet!

Vielleicht lohnt sich ein Blick auf die Herstellung von Opium, um zu verstehen, warum diese Behauptung einfach nicht zutrifft.

Opium wird in Afghanistan hergestellt (was wohl passieren würde, wenn die afghanischen Drogenbarone herausfänden, wie man das richtig macht? Die Ernte würde sich verzehnfachen) in dem die grünen Kapseln des Schalfmohns seitlich angeritzt werden. Es tritt eine milchige Flüssigkeit aus, die an der Luft trocknet und dunkelbraun wird.

Diese braune Masse wird abgekratzt und gesammelt und so erhält man das Rohopium, das etwa 10-20 % Morphin enthält. Aus diesem Morphin wird dann durch Acetylierung die verbreitete Droge Heroin hergestellt.

Du kannst das auch mit dem harmlosen Klatschmohn ausprobieren und hochrechnen.

Anbauuntersuchungen in den 70ern haben ergeben, dass du mit etwa 20 bis 30 mg fertigem Rohopium pro Mahnkapsel rechnen kannst (andere Quellen geben 50 mg an, aber die beziehen sich auf den noch relativ feuchten getrockneten Saft an der Kapsel). Rechnet man auf das gut getrocknete Rohopium, so kommt man also je nach Zahlenlage auf vielleicht 20 000 bis 30 000 Mohnkapseln, die pro kg angeritzt und abgekratzt werden müssen.

Wenn man sagt, keine Pflanze bringe so viel Geld ein, dann muss man natürlich sehen, was man reinstecken muss, um das Geld zu kriegen! Und bei Mohn muss man eine Menge Arbeit und vor allem unendlich viel Ackerland reinstecken! Würde man auf dem Ackerland was anderes anbauen, hätte man ja viel mehr $kg / mathrm m^{2}$

Im Endeffekt ergibt das einen Ertrag laut Opium Survey von rund 33 kg/ha also 33 kg pro 10 000 $mathrm m^{2}$. Das ist echt ein übelst niedriger Ertrag! Ach so, noch in Dollar. Laut Spiegel-Online Artikel bringt das kg Rohopium 145 USD ein. Also  im Endeffekt 4785 USD/ha.

Weizen zum Beispiel ist natürlich pro kg sehr sehr viel billiger, aber beim Anbau erhält man auch sehr sehr viel mehr kg. In Belgien zum Beispiel gibt ein ha einen Weizenertrag von rund 9500 kg/ha (nicht 33 kg/ha) wie Opium. Also mit einem durchschnittlichen Preis von 725 USD/t für Weizen in 2013 immerhin 6862 USD/ha (und nicht 4785 USD/ha wie Opium in Afghanistan)

Klar ist der Vergleich so nicht ganz fair, wie soll man in Afghanistan 1000 Tonnen Weizen transportieren? Das Rohopium ist viel kompakter, nahezu unbegrenzt haltbar, nicht anfällig für Schädlingsbefall, also viel leichter zu schmuggeln. Natürlich wäre in Afghanistan auch der Ertrag nicht so hoch wie in Belgien. Genau wie das Opium dort nicht professionell agrartechnisch bewirtschaftet wird, würde der Weizen natürlich auch einen viel geringeren Ertrag liefern. Aber die Behauptung war:

Und keine andere Pflanze bringt so viel Geld ein.

Was selbst für Weizen mit den verhunzten Weltmarktpreisen nicht so eindeutig stimmt. Hier aber noch ein paar bessere Kandidaten:

Und nicht lachen! Afghanische Granatäpfel waren mal weltberühmte Premium-Produkte, es gibt eine wundervoll Riesensorte, so groß wie Honigmelonen und auch eine kernlose (!) Art, sozusagen der russische Kaviar unter den Feldfrüchten. Die Hektar-Erträge reichen von von 8600 kg/ha im Bezirk Dand bis hin zu 19000 kg/ha im Bezirk Arghandab (Im Internet kursieren, auch in der Wikipedia, Zahlen von  344 kg/ha für Dand und 760 kg/ha für Arghandab, die trivial offensichtlich falsch sind. Vermutlich beruhen sie auf einem Rechenfehler bei den Flächenangaben).

Rechne mal nach! Bei Preisen in Zentralasien von 2 – 4 USD / kg reden wir hier über Erträge von 17 000 bis 34 000 USD / ha selbst bei dem schlechten Ertrag in Dand.

Hier mal ein paar Zahlen aus „The Decision to Plant Poppies: Irrigation, Profits & Alternatives Crops in Afghanistan”
von R G Palau, cimicweb.org:

Pflanze Nettorendite (USD/ha)
Weizen320 USD
Opium433 USD
Mais453 USD
Zwiebeln2150 USD
Aprikosen3756 USD
Orangen3756 USD
Äpfel6185 USD
Granatäpfel12828 USD
Mandeln16068 USD
Weintrauben18194 USD

Klar, das spielen viele Faktoren eine Rolle, wie schon gesagt, Bewässerung, Transport, Haltbarkeit etc. aber einen Satz wie

„Und keine andere Pflanze bringt so viel Geld ein.”

einfach so kommentarlos rauszuhauen ist doch wohl definitiv sub omni canone (unter aller Kanone).

Trivia

Morphin in Speisemohn

Nur, weil es mir gerade einfällt und gut zum Thema Mohn passt:

Thevis M, Opfermann G, Schänzer W; 2003. Urinary concentrations of morphine and codeine after consumption of poppy seeds; Journal of Analytical Toxicology, Vol. 27: 53-56.

fanden 2003 eine Konzentration von 152 mg/kg Morphin in Speisemohn der Marke Müllers Mühle. Bei einer empfohlenen Maximalaufnahme von 6.3 µg / kg Körpergewicht pro Tag kann man sich durchaus vorstellen, dass es im April 2005 zu folgendem Malheur kam: Eine Mutter hatte ein altes Hausmittel angewandt und ihrem sechs Wochen alten Säugling gegen seine Schlafstörungen die abgeseihte Milch von Backmohn gegeben. Das Kind wurde mit Atem- und Bewusstseinsstˆrungen in eine Klinik eingeliefert und dort wegen des Verdachts auf eine Opiat-Vergiftung behandelt. Im Urin wurden hohe Mengen der Alka-loide Morphin und Codein nachgewiesen.

Ein normaler Erwachsener Mann mit 80 kg hätte von diesem Müllers Mühle Mohn bloß mehr als 3 g essen müssen, damit eine Wirkung denkbar wäre. Ein Blech Mohnkuchen aus dem Zeug wäre definitiv eine bewusstseinserweiternde Erfahrung geworden!

Udo Jürgens

Nur, weil es mir gerade einfällt und gut zum Thema „Sicheres Auftreten bei vollkommener Ahnungslosigkeit“ passt: Es gibt ein Lied zum Thema Opium vom Schlagerbarden Udo Jürgens. Ist jetzt nicht so dramatisch, aber der Schlafmohn blüht in dem Song rot statt weiß/violett:

Udo Jürgens – Rot blüht der Mohn 1984 – MyVideo

Endnotes:
  1. [Image]: https://drsvanhay.de/wp-content/uploads/2013/11/Bildschirmfoto-2013-11-13-um-10.37.35.png

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